Erläuterungen zum Tango

Eigentlich enthalten nur wenige Takte dieses Stückes einen echten Tango-Rhythmus, aber das ganze Stück ist auf diese Stelle hin angelegt und entwickelt sich dorthin.

In der Einleitung erhebt sich über festem Grundton E ("Orgelpunkt") die Harmonik, die immer wiederkehren wird, allerdings zunächst in sehr getragenem Tempo und mit Chor, Streichern und Glocken besetzt, so dass durch den Klang die mystische Wirkung der eigentümlichen Harmoniefolge verstärkt wird.

Die Parallelführung nur in der Sechste erzeugt ein sehr sehnsuchtsvolles Klangbild, da die Harmonien nicht voll besetzt sind und beim Hörer immer das Gefühl hinterlassen, dass noch etwas fehlt, noch etwas offen ist und nach Erfüllung verlangt.

Eine in der Wiederholung der Introduktion einsetzende Klarinette verstärkt den jeweils höchsten Ton der Harmoniefolge zum Ansatz einer ersten Melodie mit gewollt dissonantem vorletzten Ton.

Nach dieser Introduktion setzt auf gleicher Harmoniefolge ein harter Schlagzeugrhythmus ergänzt mit rhythmischen E-Bass-Akzenten in Oktavsprüngen ein. Darüber entfaltet ein Akkordeon eine sehr rythmische Melodie mit starken synkopischen Elementen, d.h. mit vielen Betonungen auf ungeraden Taktschlägen. Mit dem Klang des Akkordeons wird ja gerade in Zusammenhang mit argentinischem Tango oft etwas "diabolisches" assoziiert. Dies kontrastiert reizvoll mit dem eher geistlich klingenden Chorsatz.

In der ersten Wiederholung des Hauptthemas Umspielung der Akkordeonmelodie mit gebrochenen Akkorden auf einem E-Piano.

Im nächsten Teil wird zur Entspannung ein sehr einfaches, naives Thema in schneller Geschwindigkeit und hell klingenden Instrumenten (Xylophon) eingeführt. --> Ein heller Sonnenstrahl zwischen düsteren, dunkel rot angeleuchteten Wolken?

Aber bald danach wieder Rückkehr in die vorher aufgebaute Stimmung und Verstärkung und weitere Durchführung des Themas, das nun aber schon massiver, kompakter wirkt.

Im nun folgenden Abschnitt wird die Melodie in die Basslinie verlegt und beim Schlagzeug die 1 und die 2 vertauscht (Snare Drum auf 1, Base Drum auf 2). Obwohl vieles vom Hörer wieder erkannt wird (Harmonik, Thema), ist doch vieles genau umgedreht und wirkt wie kopfgestellt, rückwärts abgespielt. Dazu rhythmische Impulse der Streicher in hoher Lage. Das Thema wird zwar wiederholt, aber durch immer neue Variationen in seiner möglichen Interpretationsvielfalt dargestellt. Der Hörer wird mit dem Stück vertraut und empfindet eine sich zwangsläufig entwickelnde Linie darin, wird aber immer auch mit neuen Elementen konfrontiert, die das eben gehörte noch bereichern.

Darauf folgt noch einmal das naive Thema, aber: diesmal in genau halber Geschwindigkeit gespielt von einer sanften Querflöte bei gleichbleibend durchgehendem Schlagzeugrhythmus, umspielt von gebrochenen Akkorden eines E-Pianos. Irgendwie klingt es vertraut, und ist doch wieder ganz anders ...

Jetzt ist alles vorbereitet für die Tango-Szene. Schwere, klassische Tango-Schlagzeugbegleitung bei gleichbleibender Melodie und Harmonik. Gleich und doch sehr unterschiedlich zu den vorangegangen Teilen entfaltet sich nun die Schwere und Melancholie des Tangos.

Zum Ausklang wird das Thema moduliert (einen Halbton höher) und ein moderner, leichterer Rhythmus unterlegt. Das Gefühl des argentinischen Tangos klingt noch etwas nach, wird aber in eine modernere, "swingigere" Spielweise transformiert. Ungenauigkeiten und Auslassungen im Schlagzeug "simulieren" eine spontane, lockere live-Spielweise. Das Stück strebt seinem Ende zu, indem sich das Thema von der bisherigen Schwere und Melancholie löst und sich ganz leicht über dem neuen Rhythmus erhebt und immer weiter nach oben strebt.

Das abrupte Ende lässt Spielraum, sich im Kopf eine Fortsetzung zu denken und das eben gehörte nachklingen zu lassen.



Homepage: www.Hardo-Naumann.de